Dienstag, 24. März 2009

Antwortschreiben an die Senatorin für Stadtentwicklung Frau Junge-Reyer (23.3.09)

An die Senatorin für Stadtentwicklung Berlin
Frau Ingeborg Junge-Reyer
Berlin, 23.3.09

Sehr geehrte Frau Senatorin für Stadtentwicklung, Frau Junge-Reyer,
sehr geehrte Frau Berning,

wir danken Ihnen für Ihre Antwort auf unser Schreiben vom 12.2.2009. Im folgenden wollen wir auf wichtige Aspekte Ihres Schreibens eingehen und unsere Sicht der Dinge darlegen, sehr um eine konstruktive Diskussion der städtebaulichen Entwicklungen in unserer Nachbarschaft bemüht, wie Sie selbst schon zutreffend bemerkt haben.

Bund-Länder-Förderprogramm „Städtebaulicher Denkmalschutz“
Wir sehen uns durchaus in Einvernehmen mit den Anliegen von Vertreter_innen eines modernen städtischen Denkmalschutzes, wenn wir für einen Garten im Bereich des ehemaligen Krankenhauses Bethanien eintreten. Ziemlich genau an der von uns diskutierten Fläche befand sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ein großer Obstgarten, an den Gemüsegärten und Gewächshäuser angrenzten, die zur Versorgung des Armenkrankenhauses dienten. Für uns ist die Einrichtung eines Gartens an diesem Ort eine außerordentliche Möglichkeit, an diesen Aspekt der auch städtebaulichen Geschichte Berlins zu erinnern und anzuknüpfen. Wir senden Ihnen gern weitere Informationen zu.

Gutachterverfahren zur Freiflächenumgestaltung und Bürgerbeteiligung
In Ihrem Schreiben vernachlässigen Sie den zweiten Teil des mehrjährigen Bürgerbeteiligungs-prozesses zur Freiflächenumgestaltung vollkommen. Nachdem im Sommer des Jahres 2007 die Vorschläge der vier beteiligten Architekturbüros durch uns Anwohnerinnen und Anwohner lediglich begutachtet, mit Anmerkungen versehen und bewertet werden konnten, begann die Bürgerbeteiligungsphase im Jahr 2008 mit einem großen Workshop und viel Engagement und Vorschlägen.
In zahlreichen Arbeitsgruppen kamen die Interessierten zusammen und diskutierten die Zukunft der Fläche um das Bethanien. Der große Bedarf der Bewohner_innen des Mariannenplatz-Kiezes an der Nutzung von Gärten wurde von Seiten von 'Stattbau' gar als Argument verwendet, doch lieber keine Gärten einzurichten.
Wir sehen die Nutzungsansprüche der Bewohner_innen durch einen Nachbarschaftsgarten viel stärker berücksichtigt als durch eine Freifläche. Viele hier haben kein Auto und keinen Garten im Umland, mit dem sie leicht zu etwas mehr Natur kommen könnten. Wir laden Sie herzlich ein, sich selbst ein Bild zu machen und mit den Menschen vor Ort zu sprechen! Gern organisieren wir einen Besichtigungs- und Gesprächstermin.

Nachhilfe in Sachen "Nachbarschaftsgärten"
Was das Konzept von interkulturellen Nachbarschaftsgärten betrifft, können wir für Sie etwas weiter ausholen. Ein Nachbarschaftsgarten, wie wir ihn hier mit etwa 40 bis 60 gärtnernden Nachbarinnen und Nachbarn gestalten wollen, entspricht in vielem den von Ihnen angesprochenen Bedürfnissen und Anforderungen in besonderem Maße.

→ Nachbarschaftsgärten als 'öffentliche Grün- und Erholungsfläche'
Das von uns mit dem Bezirksamt besprochene Konzept des Nachbarschaftsgartens, das wir Ihnen auch im vorigen Brief mitgesandt hatten, sieht drei offene Türen vor, über die der Garten betretbar ist. Ein Drittel Beete, ein Drittel Gemeinschaftsfläche und ein Drittel Sonstiges lassen sowohl für Erholung als auch Engagement Gelegenheit und machen den Garten zu einer sehr besonderen Erholungsfläche. Darüber hinaus werden für die Pflege und die Errichtung des Nachbarschaftsgartens kaum öffentliche Gelder nötig sein, die Grünflächenpflege wird von der Nachbarschaft übernommen.

→ Nachbarschaftsgärten als 'Ort des Austausches, als sozialer und kultureller Aktionsraum'
Die spezielle Konzeption des Nachbarschaftsgartens als Parkbestandteil führt gärtnerisch aktive Menschen zusammen mit Menschen, die sich nur ausruhen und entspannen wollen, sich unterhalten wollen und denen der Garten dabei ein angenehmes, in der Stadt ungewöhnliches Ambiente bietet. Oder Menschen, die sich für die verschiedenen Methoden des Gartens interessieren. Sie können sich informieren oder kommentieren, Ratschläge erteilen oder von ihren eigenen Erfahrungen ggf. aus ihren Herkunftsländern erzählen. Auf diese Weise bietet das integrierte Modell von Garten und Erholung vielfältige Anlässe zu Kommunikation.

→ Nachbarschaftsgärten als Ort, der nur "einem eingeschränkten Nutzerkreis zugute" kommt
Aus dem eben gesagten ist ersichtlich, dass es keinen Grund gibt anzunehmen, das integrierte Konzept des Nachbarschaftsgartens käme nur einem eingeschränkten Nutzerkreis zugute. Die mögliche Nutzung ist im Gegenteil sehr vielfältig und kann noch erweitert werden. Bisher gibt es schon Kontakte mit Grundschulen, Kitas und Schulprojekten der Umgebung, Gespräche über Kooperationen mit dem Kunstraum Kreuzberg fanden ebenso statt wie mit dem AWO-Begegnungszentrum, wir sind beim gerade startenden Projekt „Campus Marianne“ dabei.

→ Nachbarschaftsgärten als Ort der Bildung und der Selbstversorgung
Wir zitieren aus einer Publikation der Stiftung Interkultur:

„Hier wird gemeinschaftliche Selbstversorgung noch praktiziert oder neu erfunden: Die geernteten Früchte sind Grundlage eines vielfältigen Hin und Her. Es wird verschenkt, getauscht und verzehrt. Die Voraussetzung dafür ist, selbst produktiv zu werden und urbane Landwirtschaft im kleinen Maßstab zu betreiben.
Diese materielle Dimension von Interkultur und die ihr innewohnende Dauer und Verbindlichkeit sind Teil der hier betriebenen Ökonomie. Nicht zuletzt die wirtschaftliche Dimension verleiht den Interkulturellen Gärten die ihnen eigene Tiefe und Ernsthaftigkeit: In der täglichen Praxis entsteht Interkultur, die unter die Haut und durch den Magen geht.“

Wir könnten noch viel weiter ausholen, verweisen aber stattdessen auf die Agenda21-Beschlüsse des Senats und auf die Webseiten der Stiftung: http://www.stiftung-interkultur.de.


Kompromissvorschlag des Bezirksamts
Der Kompromissvorschlag des Bezirks sieht eine Aufteilung der im Sommer 2008 zugesagten Fläche von 2150 qm vor - eine Liegewiese mit Bänken und eine Gartenfläche mit Beeten, sauber getrennt. Die Größe der umzäunten Gartenfläche betrüge dann weniger als 900 qm. Wie Sie nach den Ausführungen zu unserer Konzeption eines interkulturellen Nachbarschaftsgartens am Mariannenplatz erkennen, läuft dies vollständig unseren Vorstellungen entgegen.
Für uns würde dies heißen, uns auf einen faulen Kompromiss einzulassen oder die Gartenfläche so aufzuteilen, dass an der zu begärtnernden Fläche überhaupt nur wenige Menschen beteiligt sein können. Das wollen wir nicht.

Wir sind überzeugt von dem Konzept eines offenen und ausreichend großen Gartens, in dem Beete und öffentlich zugängliche Aufenthaltsflächen integriert sind und so den Park rund um das ehemalige Armenkrankenhaus Bethanien am Mariannenplatz prägen.

Wir sehen Sie als Senatsbehörde gefordert, sich mit uns und dem Bezirk auf die konstruktive Suche nach Lösungen zu begeben und das bürgerschaftliche Engagement, das durch die Instrumente der Bürgerbeteiligung mit viel Geld unterstützt wird, ernst zu nehmen. Neben einem gemeinsamen Termin mit dem Bezirk laden wir sie gern zu einer Besichtigung der Anlagen um das Bethanien und zu Gesprächen mit den Anwohnerinnen und Anwohnern ein.

Auf die Überzeugungskraft der Idee des interkulturellen Nachbarschaftsgartens und der Bedürfnisse von uns Menschen vom Mariannenplatz vertrauend, sind wir zuversichtlich, die nächsten Schritte hin zu einer guten Lösung gehen zu können.

Mit freundlichen Grüßen vom Mariannenplatz,
Ton, Steine, Gärten e.V.

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